Beiträge von Christine Kastning (Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion Hannover) und Martin Hanske (Wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion Hannover) im Rahmen der Aktuellen Stunde im Rat der Landeshauptstadt Hannover am 26.02.2009 zum Thema „Konzernstrategien und ihre Auswirkungen auf hannoversche Unternehmen am Beispiel von Gilde und Conti“


Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender,
liebe Ratskolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

was uns allen noch vor gut einem halben Jahr mitten in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs unvorstellbar schien, ist eingetreten: Eine Reihe von Fehlern, unhaltbaren Finanzaktionen und irrationalen Spekulationen hat die Welt in eine Wirtschaftskrise gestürzt.

Als wenn das nicht schon genügen würde, dürfen wir uns hier in Hannover nun auch noch mit den negativen Konsequenzen unternehmerischer Entscheidungen in Konzernen auseinander setzen.
Doch kein Unternehmen wie die Gilde-Brauerei und kein Arbeitsplatz bei Continental werden durch Krokodilstränen und Lippenbekenntnisse gesichert. Vielmehr sind in einem ersten Schritt eine schonungslose Analyse und in einem zweiten entschlossenes und Ziel führendes Handeln gefragt.

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Doch täuschen wir uns nicht: Die Möglichkeiten einer Kommune, auch der Stadt Hannover, sind begrenzt. Wenn es einem Brauerei-Riesen wie der ABInBev gefällt, wird der in ihren Augen kleine und bedeutungslose Standort in der Südstadt im Handstreich weggefegt. Wir glauben, dass sich die meisten Unternehmen in Hannover ihren Arbeitnehmern und dem Standort verpflichtet sehen - besonders gilt das für die mittelständischen Betriebe mit Unternehmensleitungen hier in Hannover. Diese Unternehmen haben unsere Unterstützung. Kein Unternehmer, der so denkt und handelt, stößt mit seinen Sorgen bei uns auf taube Ohren.

Schwieriger wird es, wenn unternehmerischer Einfluss in Hannover verloren geht: Im November 2002 mussten wir aus der Zeitung erfahren, welche Pläne zur Gildebrauerei verfolgt wurden. Vorbei an allen Gremien planten der frühere Gilde-Vorstand Gerhard Nienaber und der ehemalige Aufsichtsratschef (und ehemalige IHK-Präsident) Steffen Lorenz (als Anteilseigner) den Verkauf des ältesten Unternehmens der Stadt Hannover an die Interbrew. Noch bevor sich die Hauptversammlung mit einer solchen Frage auseinandersetzen konnte und obwohl die Stadt Hannover klar gemacht hatte, dass sie als größter Einzelaktionär (10 %) gegen den Verkauf stimmen werde, verhandelten die Kleinaktionäre ohne Mandat des Aufsichtsrats gleichzeitig schon mit Vertretern anderer Brauereien.

Gegen den Widerstand der Stadt konnten Lorenz und Nienaber die Kleinaktionäre für den Verkauf gewinnen, und schufen auf der Hauptversammlung im Dezember Fakten. Nienaber und Lorenz drängten zur Eile, um der von der Bundesregierung ursprünglich zum 1. Januar 2003 geplanten generellen Spekulationssteuer aus Aktienverkäufen zu entgehen.

Die Stadt verhandelte hartnäckig und rang dem belgischen Bierkonzern Interbrew für den Standort Hannover wichtige Bestandszusagen ab: - dass Hannover auch in den kommenden 30 Jahren Rechtssitz der Brauereigilde und der Gildebrauerei bleiben werde - dass Interbrew für fünf Jahre auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten müsse und - dass das Unternehmen in den nächsten 10 Jahren jährlich 3,5 Mio. € zur Unterstützung der Marke Gilde bereitstellen werde.

Unter den damaligen Bedingungen war es das bestmögliche Ergebnis, das erzielt werden konnte - ein großes Unbehagen werden allerdings viele verspürt haben, die den Verkauf der Gilde beobachten mussten. Im Interesse der Stadt und der Stadtgesellschaft war er nicht!

Inzwischen droht der Verkauf zum Ausverkauf zu werden.

Aus Interbrew wurde InBev, die sich mit dem Gewalt-Kauf des US-Konzerns Anheuser-Busch für 49,9 Milliarden Dollar (31,5 Milliarden Euro) verhoben hat und jetzt ABInBev heißt.

Und offensichtlich fühlt sich der Bierkonzern nicht seinem Standort in Hannover verpflichtet. Die Abfüllmengen sollen massiv zurückgefahren werden. Die Beschäftigten sollen künftig in der einen Woche brauen und in der anderen Woche abfüllen. Die Zahl der Mitarbeiter soll von 132 auf 42 reduziert werden. Beschäftigte und Aufsichtsräte wurden getäuscht.

Noch in der Aufsichtsratssitzung im vergangenen Dezember wurde ein Wirtschaftsplan für 2009 vorgelegt, der die jetzige Entwicklung mit keinem Wort erwähnt. Es wurden sogar im vergangenen Jahr 7,3 Mio. € in eine neue Abfüllanlage investiert, die nun nach dem Willen der Konzernleitung nur der Abschreibung und nicht der Abfüllung dient.

Dabei hat die Gilde Brauerei entgegen dem bundesweiten Trend der Brauwirtschaft im vergangenen Jahr ihren Umsatz noch steigern können. Der Standort Hannover wird ohne Not mutwillig klein geschrumpft. Der brasilianisch-belgische Bier-Multi ABInBev will sich nach dem Anheuser-Busch Kauf aus Deutschland zurückziehen.

Heute wissen wir: Die Demontage der Marke Gilde war von langer Hand geplant und Teil der Unternehmensstrategie.

Die Entemotionalisierung, um die Marke Gilde verschwinden zu lassen, hat bereits lange eingesetzt und wurde systematisch gesteuert. In den Kneipen und Gaststätten setzte die Konzernführung schrittweise Hasseröder und Beck´s durch. In immer mehr hannoverschen Kneipen hieß es für die Traditionsmarke: „Es gildet nicht mehr.“ Trotz anders lautender Zusagen wurde Sponsoring und Marketing für das Gilde-Bier zurückgefahren.

Ein Blick auf die Internetseite der InBev Deutschland lässt anderes vermuten. Dort steht: „Wir engagieren uns dafür, alle unsere Geschäftsaktivitäten auf sozial verantwortliche Weise durchzuführen. Wir sind uns der Bedeutung und Relevanz der Unternehmensverantwortung in der heutigen globalisierten Umwelt bewusst und akzeptieren jeden Aspekt dieser Verantwortung.“

Wie passt das zusammen mit dem „Projekt Mottenkugel“, so nennt Deutschlands zweitgrößte Brauereiunternehmen ABInBev die Abwicklung der Gilde? Von noch 132 aktiven Mitarbeitern sollen 90 Kollegen entlassen und der Rest in die Kurzarbeit geschickt werden, während in anderen Standorten des Unternehmens grade in vier Schichten gearbeitet wird?

Für uns hier in Hannover ist die Gilde-Brauerei mit ihren 500 Jahren Brautradition kein Schnee von gestern, hier muss nichts eingemottet werden. Die Gilde ist für uns ein regionaler Identifikationsfaktor. Wir erleben, wie das Wohl und Wehe der hannoverschen Arbeiter und ihrer Familien bei zweifelhaften Strategien international operierender Konzerne verhandelt werden.

Deshalb stellen wir uns an die Seite des Gilde-Betriebsrates und fordern von ABInBev ein Moratorium, in dem alle angekündigten Maßnahmen ausgesetzt werden, um ein tragfähiges Konzept für die Zukunft zu erarbeiten. ans Herz legen. die Seite der Familien- und Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt des Gildestandorts in Hannover stark macht.

Christine Kastning, Fraktionsvorsitzende

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, liebe Ratskolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

eine ähnliche Problemlage, allerdings mit noch weiter gehenden Konsequenzen - allein wegen der Anzahl der Arbeitsplätze - beschäftigt uns im Fall der Continental AG. Aktuell sehen wir, wie der Schaeffler-Konzern unter dem Druck der Banken den Schulterschluss mit dem Gewerkschaften sucht, und fragen uns: warum nicht gleich so? Wir erleben den Versuch einer Verwandlung eines Unternehmens aus der reinen Shareholder-Perspektive hin zur Perspektive der Stakeholder, der allerdings alleine der aktuellen Notlage geschuldet ist.

Hat sich das Unternehmen Schaeffler im letzten Jahr noch mit einer aggressiven Übernahmepolitik in der Republik bekannt gemacht, so versucht es nun die Bedürfnisse der unterschiedlichen Anspruchsgruppen in Einklang zu bringen, um die rettenden Milliarden des Bundes zu bekommen?

Zu verstehen ist es, wenn es dem Einzelnen fragwürdig erscheint, dass eine Milliardärsfamilie, die sich durch wirtschaftliche Fehleinschätzung eine blutige Nase holt, um staatliche Bürgschaften in Höhe von jetzt sechs Milliarden Euro bittet, damit sie von den Banken nicht aus der Konzernführung gedrängt wird. Man stelle sich das vor: Ein kleiner Handwerksbetrieb hat sich mit einem Auftrag übernommen und bittet anschließend die öffentliche Hand um finanzielle Unterstützung - wie wäre da wohl die Antwort?

Dennoch: Bei allen Überlegungen stehen für uns immer die Menschen - die Arbeitsplätze - im Vordergrund. Deshalb sagen wir: Unter bestimmten Vorraussetzungen sind finanzielle Hilfen von Bund und Ländern denkbar und zu prüfen, damit hier in Hannover bei der Conti die Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Doch dafür wird der Multikonzern einen Preis bezahlen müssen, und diesmal geht nicht nur um Euro - es geht um mehr, es geht um Transparenz im Betrieb, um die Offenlegung der persönlichen Beteiligungen der Familie Schaeffler und ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten. Continental muss hier in Hannover eine Perspektive haben! Wie auch immer sich der Automobilmarkt wandelt: Die innovativen Conti-Produkte in den Bereichen Antrieb, Fahrwerk und Bremsen werden weiterhin gefragt sein.

Wir Sozialdemokraten fühlen uns in erster Linie den Menschen in unserer Stadt verpflichtet. Ich zitiere Franz Müntefering: „Wo totale Ökonomisierung das Handeln bestimmt, hat der soziale Auftrag der Politik keine Chance mehr. Wirtschaft ist aber für den Menschen da und nicht umgekehrt.„

Deswegen stehen wir zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft.

Es ist die Aufgabe einer Unternehmensleitung, gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Zusätzlich muss es auch eine effektive Kontrolle durch die Aufsichtsräte geben. Schließlich muss zwischen den Zielen eines Unternehmens und ethischen Grundsätzen kein Widerspruch bestehen. Doch genau letzteres vermissen wir bei den Konzernstrategien der internationalen Unternehmensleitungen von Schaeffler-Conti und ABInBev.

Ich höre das Rumoren in dem Lager, das seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig mit immer den gleichen Phrasen das immer Gleiche fordert: Deregulierung, Entstaatlichung, freies Spiel der Kräfte. Lassen Sie sich gesagt sein: Wie dramatisch falsch ihre Standpunkte sind, erleben wir jetzt. Wir sehen heute: Die noch vor wenigen Monaten hoch gelobten Jünger der freien Marktkräfte können noch nicht einmal erklären, was überhaupt passiert ist. Antworten und Auswege aus der Krise werden sie wohl auch auf mittlerer Sicht schuldig bleiben. Doch selbst nach dem aktuellen Wirtschaftsdesaster rufen einige „Weiter so!“.

Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Sie sind eine verschwindende Minderheit: Die Volksseele kocht. Kein VW-Arbeiter, keine Reinigungsfachkraft und kein Auslieferfahrer kann verstehen, warum ihre Jobs bedroht sind. Schließlich haben diese Menschen in den vergangenen Jahren viele Zugeständnisse gemacht, hatten real immer weniger Lohn in der Tasche, weil in den Chefetagen mit Horrorszenarien immer weitere Verdienstkürzungen durchgesetzt wurden - die gleichen Manager übrigens, die florierende Unternehmen vor die Wand gefahren haben und jetzt Staatsgeldern sowie den vereinbarten Leistungsprämien schreien.

Wollen Sie den Beschäftigten bei Conti, der Deutschen Bank oder MTB erklären, welche herausragenden Leistungen der Bankmanager da genau belohnt werden sollen? Ich jedenfalls nicht. Selbst die CDU-Bundestagsfraktion hat die Zeichen der Zeit erkannt und steuert einen anderen Wirtschaftskurs. Ein gutes Stück Skepsis bleibt jedoch, ob diese Einsicht von Dauer sein wird.

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, liebe Ratskolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

jeder 14. Arbeitsplatz in Hannover hängt direkt oder indirekt an den Städtischen Tochterunternehmen wie der Messe, dem Flughafen, den Stadtwerken, unseren Häfen oder der GBH. Das ist unsere Strategie. Die Töchter der Stadt Hannover erteilen Aufträge an die Wirtschaft in Höhe von 1,1 Milliarde €, wovon besonders die Energiewirtschaft, die Baubranche und Unternehmen und der Dienstleistungsbranche profitieren.

Das belegt die aktuelle Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Lothar Hübl. Die Unternehmen der Stadt beschäftigen 4800 Arbeiter, die städtischen Investitionen sichern weitere 8500 Arbeitsplätze und in der Folge entstehen durch Messen und Kongresse z.B. im HCC weitere 14.700 Jobs.

Angesichts dieser Zahlen und der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, wie sie sich jetzt z.B. bei der Gilde abzeichnet, erteilen wir dem Ausverkauf des Tafelsilbers erneut eine Absage. Wir wollen und werden vor Ort weiter mit unseren Mitteln Wirtschaft gestalten und uns nicht auf schlingernde Wellen begeben wie ein Korken. Wir werden unsere Steuerungsmöglichkeiten nicht aufgeben, weder beim Flughafen Hannover noch bei enercity, der ÜSTRA oder der GBH.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Martin Hanske, Wirtschaftspolitischer Sprecher